Bild Mensch & Neander

Handy & Neander
bei der Arbeit

 

Sucht einmal anders gesehen.

 

In unserer frühen Geschichte stecken grundlegende Eigenheiten, die das Leben an sich entwickelt haben muss, um höher organisierte Spezies durch den Überlebenskampf zu bringen. Bei uns Menschen gehören Schmerzen zu den Lenkungsfunktionen, die klassisch unterschätzt werden. Weil diese tief und lange vor unserem intellektuellen Auftritt angelegt worden sind, haben wir zivilisatorischen Exemplare kaum Möglichkeiten diese "Mechanismen" zu korrigieren.

 

Ein gutes anschauliches Beispiel ist die Frage, wo kommen Gewohnheiten her und wieso wird man sie schwer los. Wenn ein natürlich lebender "homo sapiens" Gift zu sich nimmt, kann er das nur überleben, wenn er es als solches erkennt und schnell lernt. Mehrere Versuche, weil das Lernen Zeit braucht, wird er kaum überleben und so finden wir derart halbfertige Exemplare heute genetisch nicht mehr. Ganz kleine Kinder spucken bittere Sachen sofort aus und das bleibt so. Weil einmal fixiert, kriegt man Bitteres in sie nicht mehr hinein. Die evolutionäre Ausstattung schützt sie vor der Aufnahme von Pflanzengift. Die sofortige Erlebnisspeicherung ist dominant und sofort zur Verfügung und dauerhaft eingerichtet. Erst als erwachsener Mensch kann man sich langsam an herbe Weine und deftigen Käse heranentwickeln aber nicht über Nacht.

 

Gleich gelagert sind die guten Gewohnheiten schnell erworben und schwer zu entsorgen. In gefährlicher und nahrungsarmer und anstrengender Umwelt sind etwa schnell verfügbare Energie und gefühlte Wohltaten sofort eingespeichert und eine Suche danach organisiert. Probiert ein Steinzeitler an einem Busch, ob die Früchte reif sind und sie sind es, kann er logisch absolut nicht daran vorbeigehen. Und das ist auch heute noch so, wenn wir an Süßigkeiten vorbeikommen oder verführerisch aufgemachten Wohltaten gegenüber stehen. Sehen reicht vollkommen. Wir kaufen auch eigentlich eklige Abführmittel, weil die im Fernsehen gezeigten Probanten so tief ausatmend und Erleichterung zeigend, entspannen. Da sagen unsere Spiegelneuronen, das mache ich auch und ab geht's das Mittel kaufen.

 

Gewohnheiten und Gefahren werden aus unserer unzivilisierten Vergangenheit geboren schnell gelernt und der einmal erkannte Nutzen nur sehr mühsam und mit Rückfällen gepflastert zurückgeführt.

 

Darum sage ich immer, der EVO entscheidet. Unser Gehirn, gemeint ist der Teil, den wir wenigstens teilweise selbst nutzen dürfen, unser Willen und unsere Vorsätze haben nicht die evolutionäre ganz im Keller eingeschraubte Prominenz. Unsere selbst erdachten Heilsrezepte; "das mache ich ab morgen oder doch lieber nach Sylvester?" haben verdammt wenig Chancen gegen die evolutionäre Einsicht: Zucker verschafft mir schnell verfügbare Energie und ohne Aufwand aus der Zuckerdose oder dem Riegel oder dem Pralinenkasten oder Kuchen oder den Erdbeeren mit Sahne und dennoch ist alles ist bloß Zucker und Fett. Das sind genau die beiden, die unser Gesamtgehirn als Ernährung zu sich nimmt. Na, wie wollen Sie gegen ihr eigenes Nahrung suchendes Gehirn ankommen? Ich empfehle das Mantra "Das ist alles nur Zucker und Fett" schon vor der Eingangstür bis hinter die Kasse aufzusagen".

 

Nicht lachen, das funktioniert und auch das hat seinen Grund in der Evolution der frühen Exemplare unserer Art. Das Belohnungssystem funktioniert auch bei langsamer und schwieriger herzustellenden Erkenntnissen. Klar ist Hunger vorne dran, weil er die Existenz komplett bedroht. Dennoch weiß unser Körper auch, das Essen in jedem Fall eine Belastung ist. Verdauen kostet Kraft, merkt doch jeder nach einem opulenten Mahl geht der Körper auf die Stellung: "Blut in den Magen, der Rest geht schlafen". Wenn das Mantra Fett und Zucker am anderen Tag leichte Beine und ein wache Lebenslust erzeugt, dann rafft das der Körper natürlich als Vorteil. Erst wenn er wieder an Schokolade und Pralinen vorbeiläuft, fällt er erneut in's Zuckerkoma. Nehmen Sie die Tüten in die Hand und stellen sie sie ganz ernst wieder in's Regal und verknüpfen sie die Tat mit den leichten Beinen und der Lebenslust.

 

Leider ist das Gewohnheitensystem der Evolution - schnell angenommen, schwer wieder abgelegt - ursprünglich clever mit negativen depressiven Gefühlen stark gemacht worden. Verluste an Vorteilen sind für uns gefühlsmäßig übertrieben aufgebrezelt. Dass das heute übertrieben erscheint, ist richtig, aber als es erfunden wurde, war es wahnsinnig wichtig. Es ist aus dem überholten Katalog nicht entfernt worden, weil wir damit so unzählbar erfolgreich sind.

 

Deshalb meinen wir, nicht leben zu können ohne Klamottenmarken, Parfum und Austern und Champagner, selbst wenn wir es morgens noch hautnah mitbekommen haben, wie Scheiße sich so eine durchzechte Nacht am anderen Tag anfühlt. Bis mittags hat sich das im Hirn wieder hingebastelt und wir gucken schon mal, ob denn auch noch genug Bier da ist.

 

Erweitern wir das Mantra je nach Bedarf um Nikotin und Alkohol, aber mit Fett und Zucker kann man ja mal anfangen und erste Erfahrungen machen.