Bild Mensch & Neander

Handy & Neander
bei der Arbeit

 

 

 

Ich kenne niemanden, der bei freier Fahrt auf der Autobahn oder Landstraße nervös, zornig und aggressiv wird.

 

Ganz anders ist es, wenn jemand überholt, ausgebremst, von hinten bedrängelt oder angehupt wird. Das gleiche gilt, wenn jemand einen Langsameren überholen will und es länger nicht klappt. Am heftigsten Aggessionen antreibend sind Staus, in denen ja keiner weiß, warum wir stehen, wie lange es dauert, wie und wann es weiter geht.

 

Nach drei, vier unerfreulichen Erlebnissen oder einer halben Stunde Stopp and Go ändert sich das.  Je nach individueller Situation wie Termindruck, allgemeine Entspanntheit, Grundcharakter und Tagesform entwickelt sich allmählich oder abrupt eine Kraft, die aus dem Vorwärts kommen wollen, geboren wird.

 

Menschen haben die Augen vorn und drehen den ganzen Kopf, wenn sie wissen wollen, was neben oder hinter ihnen vorgeht. In Spiegel gucken kaum welche und das Interesse an den anderen ist aus dem Auto heraus ohnehin gering. Bleibt nur vorne.

 

Wir sind nach vorn gebaut und haben aus der Evolution den Job bekommen, dahin zu wollen, wohin wir sehen. Wenn ein Auto vor uns steht, wird das behindert. Wenn etwas nicht geht, dreht die Evolution am Rad, am Verstärkerrad. Es wird mehr Energie aufgewendet. Das ist ein Grundrezept. Wir versuchen immer Energie zu sparen. Aber wenn die Schraube partout nicht rein gehen will, wird von mal zu mal mehr Kraft eingesetzt und nach fest kommt ab. Das ist dann aber eine intellektuelle Erfahrung. Bis dahin steigert die Evolution einfach die Ausschüttung von Hormonen. Das ist die Aufgabe der Hormone, den Druck zu erhöhen und der zivilisierte Mensch weiß gar nicht, wie ihm geschieht. Er zeigt Vögel, Stinkefinger und brüllt Arschloch überholt riskant, straft danach den Gegner mit Ausbremsen und tausend anderen Tricks. Wer viel fährt, kennt den Katalog. Wer sehr viel fährt, kann auch unterscheiden, ob der Stress, der vom Nachbarn gerade ausgelebt wird, aus dem Verkehr auf der Straße kommt oder aus dem Verkehr oder Nichtverkehr zuhause.  Setzt man also Millionen Autofahrer täglich in den Stau, hat man vollautomatisch Wutbürger ohne Ende.

 

Wer kapiert, dass Wut immer auch wieder abgebaut (abreagiert) werden muss, kann wenigstens annähernd ermessen, wie viel Schuld sich die öffentlichen Verkehrsbremser eigentlich aufladen und wie viel Einzelschuld sich Langsamfahrer, Ampelschläfer und Stauromantiker, Mitte- und Linksfahrer, Auffahrtenhereindrängler auf sich laden.

 

Wenn Zivilisation diese seine Bezeichnung verdient haben will, muss sie das lernen.

 

Menschen sind nach vorne gebaut. Sie wollen vorwärts und da gibt die Evolution nicht nach – niemals.